Einführung
Zum AnfangGEWALT gegen KinderFolgen und Auswege
Geschlagen
Rebecca und Alex
Alex* ist 38 und Vater eines 7-jährigen Sohnes, bei dem ihm schon mehrfach "die Hand ausgerutscht" ist. Er selbst wurde auch als Kind von seinem Vater geschlagen.
Beide erzählen von der Gewalt, die sie erlebt haben und die sie selbst ausüben - auf ganz unterschiedliche Weise.
*Die Namen Rebecca und Alex wurden von der Redaktion geändert.
"Sobald es dunkel wurde, wussten mein Bruder und ich schon, was uns erwartet."
Rebecca
Sie wechselt von Heim zu Heim, haut immer wieder ab, treibt sich auf der Straße rum. Irgendwann fängt sie an zu trinken, nimmt Drogen und bricht die Schule ab.
"Wenn ich aushole, zuckt er schon."
Alex
Immer wieder kommt es zu solchen Situationen, in denen er die Kontrolle verliert.
"Ich dachte früher, ich hätte die Schläge verdient."
Vom Vater zum Sohn
Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe e.V., über die Bandbreite von Kindesmisshandlung
SCHREIEN / SCHLAGEN / DEMÜTIGEN / VERBRÜHEN / VERÄTZEN"Der perfiden Fantasie der Menschen sind leider selten Grenzen gesetzt."
Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe e.V.
Immer noch weitverbreitete Ansicht"Eine Ohrfeige hat noch keinem geschadet!" Oder etwa doch ...?
Gründe
Warum?
So beschreibt es auch Alex: In manchen Situationen wisse er sich einfach nicht anders zu helfen …
"In Situationen, in denen ich nicht weiterweiß, ist Gewalt die letzte Lösung."
Alex
Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe
"Um Hilfe zu bitten, ist keine Schande!"
"Manche sehen ihr Kind als Symbol, dass etwas schiefgegangen ist im Leben"
Professor Jörg M. Fegert, Kinder- und Jugendpsychiater
Das ungeliebte Kind
Nicht schütteln, nicht schlagen, nicht anschreien!Stress, Wut und Überforderung
Tief Luft holen, rausgehen, runterzählen, redenWas tun, wenn man "rotsieht"?Tipps von Professor Jörg M. Fegert, Kinder- und Jugendpsychiater
"Manches provozierende Verhalten ist einfach nur da, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Wichtig ist es, mit den Kindern Situationen zu schaffen, wo man für sie Zeit hat."
"Dem Kind beispielsweise sagen: 'Können wir, wenn wir in den Laden gehen, vorher besprechen, dass Du heute nichts kriegst oder nur eine Sache kriegst und dafür ist an der Kasse Ruhe.' Man kann ein bisschen die Konflikte vorwegnehmen, die Situation strukturieren und mit den Kindern besprechen. Kinder reagieren sehr positiv auf Struktur. Wir wissen aus der ganzen Trauma-Arbeit, dass Regeln uns Ruhe und Kraft geben."
Gewusst
Was sagt die Bevölkerung über Gewalt in der Erziehung?
Auf den nachfolgenden Seiten
erfahren Sie es.
Gesetz
Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der ErziehungErst seit dem Jahr 2000 ist die sogennante Züchtigung als Erziehungsmaßnahme gesetzlich untersagt:
§ 1631, Absatz 2, BGB
Professor Ludwig Salgo, Familienrechtler
Was bedeutet das Gesetz?
Was ist in der Erziehung erlaubt und was nicht?
Auf der nächsten Seite erfahren Sie von Familienrechtler Professor Ludwig Salgo, wo die Grenzen liegen. Fahren Sie einfach mit der Maus über die Bilder.
Bei schweren Formen von Schlägen sowie elterlichen Verhaltensweisen greift der zivilrechtliche Kindesschutz. Und das Familienrecht ist in der Pflicht, gegen Kindeswohlgefährdungen Maßnahmen zu ergreifen. Wenn es gar nicht anders geht, wird in das Sorgerecht der Eltern eingegriffen.
Beschimpfungen und Demütigungen
Solche erniedrigenden Äußerungen sind entwürdigende Maßnahmen. Sie tragen nicht zum Wachsen des Selbstwerts des Kindes bei und helfen nicht. Kinder leiden auch oft lange unter solchen Stigmatisierungen. Das ist unzulässig!
Ohrfeige
Eine Ohrfeige ist verboten! Das ist klar eine Gewaltanwendung gegen das Kind, die das Gesetz verbietet.
Bei schweren Formen von Schlägen sowie elterlichen Verhaltensweisen greift der zivilrechtliche Kindesschutz. Und das Familienrecht ist in der
Pflicht, gegen Kindeswohlgefährdungen Maßnahmen zu ergreifen. Wenn es gar
nicht anders geht, wird in das Sorgerecht der Eltern eingegriffen.
Vernachlässigung
Zum Beispiel unregelmäßiges Waschen/unsaubere Kleidung, kein
Pausenbrot mit in der Schule:
Alles das würde unter Umständen - wenn es regelmäßig vorkommt - unter den
Begriff der entwürdigenden Erziehungsmaßnahme fallen und wäre verboten.
Klaps auf den Po
Dabei kommt es auf das Alter des Kindes an und in welcher Situation es geschieht. Der Klaps wird meistens - entgegen vieler Annahmen - nicht ein einmaliges Ereignis und Anlass sein, nochmal genau zu hinterfragen sowie genau hinzuschauen. Wenn es zum alltäglichen Repertoire gehört, kann es Schädigungen in der Wirkung für Kinder haben!
Liebesentzug
Drohung mit Liebesentzug sowie Ignorieren des Kindes sind eher in der Mittel- und Oberschicht verbreitete Maßnahmen des Nicht-Ansprechens des Kindes, tagelang Nicht-Kommunizierens, Liebesentzug - alles das sind ganz klar entwürdigende Erziehungsmaßnahmen. Man sollte die psychischen Langzeitfolgen von solchen Erniedrigungen nicht unterschätzen!
Kontrollieren, Überwachen
Das Kind "verfolgen", Mitlesen von Chats wie WhatsApp etc. setzt Kinder Kontrollen aus und kann tatsächlich entwürdigend sein. Allerdings: Wenn ein Kind sich wiederholt in gefährdende Situationen begibt, werden die für Eltern zulässigen Maßnahmen anders bewertet als wenn sozusagen ein Kontrollklima alles beherrscht und den Kindern nicht die Freiheit gelassen wird. Das als „Over-Protection“ bezeichnete Verhalten von Eltern kann sehr belastend sein!
Hausarrest
Ein kurzer Hausarrest oder das Verbot der Teilnahme an Freizeitaktivitäten wie ein Geburtstag oder Fußballspielen, Fernsehen - das ist alles im Rahmen des Üblichen. Diese erzieherischen Maßnahmen will der Gesetzgeber den Eltern nicht nehmen. Ein, zwei Tage im Zimmer einsperren ist jedoch schon an der Grenze. Das könnte eine entwürdigende Erziehungsmaßnahme und damit nicht zulässig sein.
Gefahr
Nichtstun ist keine Option
Auf der nächsten Seite erklärt Rainer Becker, was bei einem Verdacht zu tun ist.
Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe
Bei Verdacht auf Kindesmisshandlung gibt es nur einen Fehler: Nichtstun!
Was tun bei Verdacht auf Misshandlung? Tipps von der Deutschen Kinderhilfe
Was tun bei Verdacht auf Misshandlung? Tipps von der Deutschen Kinderhilfe
Es geht nie darum, was getan werden müsste, es geht immer nur darum, was Sie persönlich tun können und sollten!
Hilfe anbieten!
Ein behutsames Einschreiten mit "Sie scheinen im Moment sehr gestresst zu sein, kann ich vielleicht helfen?" wirkt grundsätzlich weniger provozierend als der Vorwurf "Was machen Sie da mit Ihrem Kind?"
Nicht den Helden spielen!
Sie müssen nicht Ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um zu helfen. Dafür gibt es ausgebildete Personen.
Melden!
Ein Jugendamt oder auch die Polizei können nur so schnell und so gut reagieren, wie sie von dem Verdacht einer Kindesmisshandlung Kenntnis erhalten. Bei Kindesmisshandlung gibt es kein "Anschwärzen"! Lieber einmal einen Fehlalarm, für den sich die zuständige Behörde nachträglich entschuldigt, als ein einziges schwer verletztes oder gar totes Kind mehr.
Die Identifizierung der Ihnen nicht bekannten Personen ermöglichen!
Bei unbekannten Verdächtigen dürfen Sie unter angemessener Berücksichtigung Ihrer Sicherheit Foto- oder Video-Aufzeichnungen von den Verdächtigen, dem betroffenen Kind oder z.B. einem Auto-Kennzeichen machen und diese dann dem Jugendamt oder der Polizei zur Verfügung stellen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!
Lassen Sie sich den Eingang einer Meldung oder die Erstattung einer Anzeige immer schriftlich bestätigen.
Gar nichts zu tun ist immer falsch!
Was immer Sie versuchen, um einem Kind, das in Gefahr zu sein scheint, zu helfen, ist besser als gar nichts zu tun. Wer gar nichts tut, macht sich mitschuldig.
Geprägt
Misshandlung und ihre Folgen
Aber Misshandlung heißt nicht zwingend, dass man für ein Leben lang beschädigt ist. Man könne Kindern helfen, die Schlimmes erlebt haben, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Jörg M. Fegert.
"Ritzen nimmt mir die Wut!"
Rebecca
Mit 16 Jahren wird Rebecca selbst Mutter. Es ist das erste von drei Kindern. Zwei werden ihr vom Jugendamt abgenommen - wegen Überforderung.
"Im schlimmsten Fall sollte unser Sohn in eine Pflegfamilie kommen."
Alex
"Ich hab mich nie in die Rolle von meinem Sohn versetzt."
Alex
Alex arbeitet immer noch an sich und am Verständnis für den Sohn. Er lernt, sich zu hinterfragen und andere Wege zu finden.
Rebecca und Alex heute
Rebecca lebt zusammen mit ihrem jüngsten Sohn in einer Wohnung und bekommt Hilfe von einer Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen. Sie schaut nach vorne. Vielleicht holt sie den Schulabschluss nach und macht eine Ausbildung. Mit ihrer Mutter hat sie immer noch Kontakt. „Ich habe ihr verziehen, weil sie meine Mutter ist“, sagt Rebecca. Vergessen wird sie die Schläge aber nie.
Impressum und Informationen
Redaktion: Klaudija Schnödewind, Christina Sianides
Kamera: Lukas Gedziorowski, Tine Kaltenschnee, Christina Sianides
Grafik und Design: Saskia Schmidt, Kaan Karca
Statistiken: Frederik von Castell
Animation: Johannes Helm
Schnitt: Justus von der Handt, Roman Rütten
Musik: Roman Rütten
Weiterführende Informationen zum Thema
Zum hr-iNFO-Dossier: Opfer ohne Stimme - wie wir unsere Kinder vor Gewalt schützen
Zu den Hilfsangeboten:
"Rede über das, was passiert ist!" - Hilfen für Opfer
Kein Täter werden - Hilfen für Eltern