Arena der Privilegierten
Zum AnfangVielfalt in der PolitikArena der Privilegierten
Wäre dem so, sähen die meisten Menschen in Deutschland so aus: alt, weiß, männlich. Denn so sind immer noch die meisten Volksvertreter.
Privilegierte Politiker?
Wir haben mit Expert*innen gesprochen – und mit Politiker*innen, die andere Perspektiven mitbringen. Worum es im Folgenden geht? Etwa um einen ehemaligen Straßenwärter, der jetzt Landespolitik macht, Aktivist*innen von Fridays for Future, die weiße Dominanz in ihren Reihen kritisch hinterfragen und die häufigsten Vornamen im Bundestag.
All das verbindet die Frage...
Gibt es unüberwindbare Hürden in die Parlamente?
Ihr habt die Wahl – in den folgenden Kapiteln Geschlecht, Migration, Behinderung, Einkommen und Bildung könnt ihr diesen Fragen nachgehen und Menschen kennen lernen, die diese Kämpfe ausfechten. Die Reihenfolge, in der ihr die Texte lest, ist euch überlassen – je nach Wissensstand und Interessen. Dabei gibt es für alle viel zu entdecken: Heißt wenig Einkommen auch wenig Chancen in der Politik? Wie sieht es mit der Barrierefreiheit in Parlamentsgebäuden aus? Ist Politik immer noch eine Arena der Privilegierten? Forscher*innen geben wertvolle Einschätzungen zu diesen Fragen. Los geht’s!
Geschlecht
Es gibt immer noch zu wenig Frauen in den Parlamenten. Machen es AktivistInnen anders?
Einkommen
Wer aus einem Einkommensschwachen Haushalt kommt hat es oft nicht leicht. Nur wenige schaffend den steinigen Weg ins Parlament oder engagieren sich aktivistisch.
Bildung
Ohne Abitur in den Landtag oder gar den Bundestag? Das geht - aber nur sehr wenige meistern diesen Weg.
Migration
Die Herkunft sollte die politische Laufbahn nicht bestimmen und doch herrschen immer noch Vorurteile.
Behinderung
Menschen mit Behinderungen kämpfen täglich mit Barrieren. Auch der Weg in die Politik ist oft nicht barrierefrei.
Und jetzt?
Und jetzt?
Die Frage nach Beteiligung und Repräsentation beschäftigt auch Politikwissenschaftler wie Benjamin Höhne: "Die Menschen wenden sich von den Parteien ab. Frauen, junge Leute oder Menschen mit Migrationsgeschichte sind unterpräsentiert. Neue Akteure wie die Populisten versuchen, diesen Lücken zu füllen." Gerade Parteien täten sich schwer, die Rufe nach mehr Repräsentation und Beteiligung zu erkennen und in ihre Programme zu integrieren, so Höhne.
Wer fehlt?
Klar ist: Von alleine werden unterrepräsentierte Gruppen wohl nicht zu mehr Einfluss kommen – deshalb fordern Menschen wie Hibba Kauser, wie Amina Yousaf, wie Sarah-Lee Heinrich ihr Mitspracherecht zunehmend lauter ein. Wenn man sich die Politik als Arena vorstellt, trafen sich dort lange nur die Privilegierten. Doch das muss nicht so bleiben.
Datenquellen
Die Daten zu den Teilnehmer*innen bei Fridays for Future-Demonstrationen entstammen einer Studie des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung.
Bei Vergleichen mit der Bevölkerung wurden die Bevölkerungsdaten des statistischen Bundesamt verwendet.
Die Grafiken wurden mit Datawrapper erstellt.
Impressum
Dilay Avci, Judith Bräuniger, Finn Holitzka, Katharina Kleine Wächter, Katja Neitemeier, Selina Rudolph
Pageflow:
Judith Bräuniger, Katharina Kleine Wächter
Illustrationen:
Maxie Römhild
Datenauswertung und Grafiken:
Selina Rudolph
Introvideo:
Judith Bräuniger
Musik:
bensound.com
Redaktion:
Frederik von Castell, Klaudija Schnödewind, Kerstin Henninger
Diese Story ist Teil des Dossiers „Jung. Macht. Politik.“ – ein Projekt von Studierenden des Journalistischen Seminars der Universität Mainz in Zusammenarbeit mit hr-iNFO
Zum Dossier:www.hr-inforadio.de/jungmachtpolitik
Geschlecht
Mann bleibt gern unter sich
Dabei ist der männliche Teil des Landes mitnichten doppelt so kompetent wie der weibliche: Laut des Statistischen Bundesamtes haben Frauen die Männer beim Qualifikationsniveau abgehängt. In der Gruppe der 25- bis 34-Jährigen hätten laut dem Bundesamt in 15 von 16 Bundesländern mehr Frauen einen Studienabschluss oder einen anderen hochqualifizierten Bildungsgang absolviert als gleichaltrige Männer.
Michael nicht Michaela
Vorbild Greta
Sichere Räume, niedrige Schwellen
Gleichzeitig profitierten sie von den basisdemokratischen Strukturen der Protestszene. Anstatt sich durch starre Parteihierarchien zu kämpfen, ist die Bewegung Fridays for Future stufenlos organisiert.
Diesen Eindruck bestätigt auch Carla Wehner, Mitorganisatorin von FFF in Frankfurt. "Für mich ist das ein sicherer Raum, wo ich nicht mit männlicher Dominanz und Mansplaining konfrontiert bin", sagt sie. Dass es in einigen Parlamenten noch ein weiter Weg dorthin ist, zeigt ein Vorfall aus dem Landtag Mecklenburg-Vorpommerns.
Noch viel zu tun
Der Abgeordnete Schneider, der den Kommentar abgegeben hat, erklärte in der "Bild am Sonntag", er sei eben "altmodisch". Er heißt übrigens nicht Michael oder Thomas, aber Jens-Holger. Im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns sitzt er für die AfD.
Einkommen
Wie viel kostet Mitbestimmung?
Wer arm ist
Diese Gesellschaft spiegelt sich nicht in den Landesparlamenten wider. In Hessen sitzt zum Beispiel niemand, der*die vor seinem*ihrem Mandat arbeitslos war. Stattdessen sind viele Jurist*innen oder Unternehmer*innen vertreten.
Eine Frage der Zeit
Für 2018 heißt das konkret: Wer alleinstehend war und weniger als 1035 Euro im Monat auf dem Konto hatte, war von Armut bedroht.
Sarah-Lee Heinrich erklärt, warum sich nur wenige arme Menschen aktiv in die Politik einbringen: "Man kann sich nicht Zeit nehmen, sich zu engagieren, wenn man Angst hat, ob am Ende des Monats noch genug Geld für Essen da ist", sagt Heinrich. Wie sie es trotzdem geschafft hat, selbst aktiv zu werden? "Ich habe Glück gehabt", sagt sie. Durch die Unterstützung von Lehrer*innen konnte sie sich politisch engagieren.
Auf das richtige Netzwerk kommt es an
In der Politik sei dieser Faktor noch einmal stärker, besonders wenn es um soziale Ressourcen gehe. Das richtige Netzwerk und das Wissen darum, wie man sich argumentativ durchsetzt, seien oft entscheidend.
Beides steht in einem engen Zusammenhang mit einer höheren Schulbildung oder einem Studium. "Wenn sich im Studium schon politische Karrieren anbahnen, etwa durch Hochschulgruppen, sind das Ressourcen, die Menschen ohne Studium fehlen", sagt Huber. Auch die Statistik zeigt, dass immer mehr Abgeordnete im deutschen Bundestag eine höhere Schule abgeschlossen haben.
Bildung und Bewusstsein
Die höhere Schulbildung sei ein Grund, warum diese jungen Menschen ein stärkeres Umweltbewusstsein hätten, sagt Protestforscherin Antje Daniel. "Im Rahmen dieser höheren Schulbildung werden Umweltthemen oft sehr viel stärker vermittelt."
Sarah-Lee Heinrich ist übrigens die erste aus ihrer Familie, die sich für ein Studium entschieden hat. Mittlerweile sitzt sie bei der Grünen Jugend sogar im Bundesvorstand.
Bildung
Die Politik als Abi-Party
Ein seltener Fall
Doch nach Menschen mit Osters Werdegang muss man in der politischen Landschaft in Deutschland lange suchen: Noch immer ist das Parlament die Arena der Akademiker*innen.
Das Parlament ist gebildeter als das Volk
Woher kommt die Diskrepanz? Der Politikwissenschaftler Sascha Huber von der Uni Mainz erklärt, Parteien seien oft von einer akademischen Kultur geprägt, die Menschen ohne diesen Hintergrund daran hindere, sich in den Parteien wohlzufühlen. So hätten Akademiker*innen Zugang zu Ressourcen, die wichtig für eine politische Karriere sind: Zeit für ein Ehrenamt oder Engagement in Hochschulgruppen, eine gewisse "Sprachmächtigkeit", die dabei hilft, sich in Diskussionen durchzusetzen; wem diese Möglichkeiten zur Verfügung stehen, der hat es laut Huber auch leichter in der Politik.
"Privileg der Mittelschicht"
In der Bewegung haben laut einer Befragung des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung circa 90 Prozent der Demonstrant*innen Abitur oder streben das Abitur an. Die Protestforscherin Antje Daniel vermutet, dass es einen Zusammenhang zwischen dem "Bildungs- und dem Umweltbewusstsein" gibt. Die Umwelt sei laut Daniel ein Thema der Mittelschicht. Das sei auch schon bei der 68-Bewegung der Fall gewesen.
Bei der Fridays for Future-Gruppe in Frankfurt ist man sich des Problems bewusst:Die jungen Aktivist*innen gestalten mittlerweile unterschiedliche Versionen von Flyern, auch einen in leichter Sprache. "Wenn du Politik machen kannst, dann ist das schon ein Privileg der Mittelschicht. Andere müssen erstmal gucken, dass sie das Geld zusammenkriegen für Essen und ein Dach über dem Kopf. Damit hadern wir auch", erzählt Dominik Ullrich, ein Mitorganisator der Fridays-for-Future-Proteste in Frankfurt.
Bürokratie muss man lernen
Dabei können Menschen, die eine Ausbildung gemacht oder ein Handwerk gelernt haben, eigene Erfahrungen und eigenes Wissen in politische Institutionen mitbringen. "Sie haben ganz andere Lebenswelten kennengelernt", sagt Politikwissenschaftler Sascha Huber. Es sei problematisch, wenn nur Akademiker*innen im Bundestag sitzen, die von diesen Lebenswelten wenig wissen. Benedikt Oster findet, dass Menschen im handwerklichen Umfeld eher verstehen, was es bedeutet, mit wenig Geld auszukommen. Im Landtag oder Bundestag seien laut Oster nur wenige, die beurteilen können, welche Sorgen und Nöte jemand mit geringem Einkommen hat. Mehr dazu auch im Kapitel "Einkommen".
Behinderung
Politik mit Hindernissen
Der Präsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Schäuble, zeigt, dass es möglich ist, als Mensch mit Behinderung in der Politik zu arbeiten. Seit einem Attentat im Jahr 1990 nutzt er einen Rollstuhl. Im Bundestag ist er damit allerdings alleine. Das Parlament erhebt keine Daten über die sichtbaren und unsichtbaren Behinderungen der Abgeordneten, aber außer Schäuble sind im Bundestag keine weiteren Politiker*innen mit Behinderungen öffentlich bekannt.
Quotenplatz statt Listenplatz?
Will man erfahren, warum so wenige Menschen im Bundestag und in anderen Parlamenten eine Behinderung haben, trifft man auch bei Expert*innen auf längst veraltete Ansichten. Ihr "Leiden" würde sie an der Ausübung eines Amtes hindern, heißt es etwa. Dabei regelt die UN-Behindertenrechtskonvention seit 2008 die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen in Deutschland und 176 anderen Staaten der Welt. Darin wird klargestellt, dass nicht die Behinderung die Menschen an der gesellschaftlichen Teilhabe hindere, sondern das Problem vielmehr an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen liege. Sprachliche Anachronismen sind allerdings nicht das einzige Hindernis.
Barrierefreiheit Fehlanzeige
"Politik ist ein Haifischbecken", sagt Cäsar, "Man hat mich aufgrund meiner Behinderung schon versucht von Plätzen wegzudrängen. Man hat mich psychisch unter Druck gesetzt." Der Grünen-Politiker konnte dem Klima in der eigenen Partei nicht standhalten und zog seine Kandidatur zurück.
So geht es nicht nur ihm, sondern vielen Menschen mit Behinderungen. "Ich bin der Meinung, dass auch die Grünen es bis heute nicht geschafft haben, Menschen mit Behinderungen die Chance zu geben, auf einen aussichtsreichen Platz zu kandidieren", sagt Cäsar. In seiner politischen Karriere sei er als Rollstuhlfahrer zudem oft von Sitzungen und Tagungen ausgeschlossen worden, weil Gebäude nicht barrierefrei gestaltet sein und keine Alternative gesucht worden sei.
Eine lautere Stimme
"Neubauten werden oft immer noch nicht barrierefrei gebaut, obwohl es nicht teurer wäre. Man muss nur eben einfach die Perspektive von Menschen mit Behinderungen mitdenken", so Arriens. In den USA gibt es etwa ein Gesetz, das vorschreibt, dass Neubauten barrierefrei konstruiert werden. Michel Arriens setzt sich dafür ein, dass es so ein Gesetz bald auch in Deutschland gibt. "Ich möchte Menschen Gehör schaffen, die oft nicht oder zu leise gehört werden", sagt Arriens. "Ich möchte mir also selbst Gehör verschaffen, aber auch anderen Menschen eine lautere Stimme geben."
Migration
Nicht alle Deutschen sind weiß.Aber fast alle Politiker*innen. Warum?
Der Bundestag ist weiß
Safe Space
Trotzdem gehören zu dem 60- bis 70-köpfigen Orgateam nur wenige Schwarze Menschen. Carla Wehner, die Fridays for Future Frankfurt mitorganisiert, sagt: "Natürlich sind auch wir eine sehr weiß dominierte Gruppe. Aber immerhin diverser als Gremien oder der Bundestag. Und ich glaube, wir Jungen sind auch reflektierter und machen uns diese weiße Dominanz stärker bewusst."